Mit Bahn, LKW und Bus durch den Iran (Teil 1)

Die Tehran Railway Station empfängt ihre Gäste monumental. Mit einem übergroßen, aufwendig gearbeiteten Buch in der luftigen Eingangshalle, vor dem Menschen auf Zwergengröße schrumpfen und sich wie Analphabeten fühlen, wenn sie der Landessprache nicht mächtig sind: Auf sämtlichen Anzeigen flimmern persische Schriftzeichen.

„Can I help you?“, fragt eine junge Frau. Wie überall im Iran reicht ein winziges Zeichen von Unsicherheit und eine helfende Hand ist zur Stelle. Taraneh reist mit ihrer Familie ebenfalls nach Shiraz. Gemeinsam gelingt die Entschlüsselung der Zugtickets. Waggon 1, Plätze 1 und 2. Etwa 30 Minuten vor Abfahrt des Zuges darf der Bahnsteig betreten werden. Die Waggons sind zweisprachig beschriftet, wodurch sich die Sucherei nun einfach gestaltet. Vor jedem einzelnen Wagen warten Zugbegleiter, die akribisch Tickets prüfen und den Reisenden während der gesamten Fahrt liebevoll umsorgen werden.

„Salam“, grüßt ein Ehepaar aus Teheran. Mohammad und Atusa haben das gleiche Abteil gebucht. Es ist mit vier komfortablen Sitz- und Schlafplätzen nebst Bettzeug ausgestattet. Mohammads Mitteilungsdrang wird während der 1.000 Kilometer langen Fahrstrecke nicht nachlassen, fehlende gemeinsame Sprachkenntnisse entmutigen ihn keineswegs. Unverzüglich beginnt er auf einer Tageszeitung herum zu kritzeln und ergänzt seine Skizzen durch Gebärden. Wenn selbst das nicht hilft, wird die Tochter per Smartphone eingebunden. Sie ist Ärztin und unterstützt den Gedankenaustausch als Übersetzerin nun permanent aus der Ferne.

So werden Biografien erzählt und Befindlichkeiten zur allgemeinen Weltlage vorgetragen. Mohammad hat als Freiwilliger am Iran-Irak-Krieg teilgenommen und wurde von einer Granate getroffen. 21 Splitter im Körper hinterlassen Spuren. „Fühl mal“, bedeutet er und weist auf eine deformierte Stelle am Kopf. Heute ist er Geographielehrer und freiwilliger Blutspender mit klaren politischen Ansichten. Sein Daumen geht hoch für Chomeini, Ruhani und Putin. Bei Ex-Shah Pahlavi fällt er, weil dieser das Kopftuch verboten habe. Ebenso bei Netanjahu und Obama. Letzterer reiche die eine Hand zum Gruß und steche mit der anderen ein Messer in den Rücken. Der Iran dagegen sei ein friedliebendes Land, übersetzt die Tochter per SMS.

Mohammads pantomimische Einlagen bringen Ehefrau Atusa zum Lachen. Wie viele Schiitinnen trägt sie einen schwarzen Tschador, den sie selbst zum Schlafen im Abteil nicht ablegt. Zurückhaltend und jederzeit aufmerksam verfolgt sie das kommunikative Spektakel, greift über Zwiegespräche mit ihrem Mann ein. Dieser behandelt sie wie eine Königin, räumt ihr die Koffer und baut wie selbstverständlich das Bett.

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Text: Sarah Paulus
Fotos: Rolf G. Wackenberg

 

Über Sarah Paulus

Ich bin freie Autorin mit Fokus auf Reportagen und aktuelle Themen rund um Reise, Politik, Menschen und Kultur. Meine Artikel und Reportagen wurden u.a. in der FAZ, der Süddeutschen Zeitung, der Morgenpost, dem Tagesspiegel, der Welt/Welt am Sonntag, bei Spiegel Online sowie in diversen Magazinen veröffentlicht. Sarah Paulus
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Eine Antwort zu Mit Bahn, LKW und Bus durch den Iran (Teil 1)

  1. jutta schreibt:

    Ich bin 2011 durch den Iran gereist, es war herrlich! Selten habe ich unterwegs so hilfsbereite und interessierte Menschen getroffen. (Abgesehen davon, ist das Land natürlich traumhaft!)

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