Grüner Samt zieht durch den Raum. Vor der Bühne warten knapp 500 Leute. Schulter an Schulter. „Wo ist die realste Cypher Deutschlands?“, brüllt MC Ben Salomo. „Hier. Hier. Hier!“, skandieren Jungs und Mädels. „Wer hat die geilste Crowd in Deutschland?“, legt der Master of Ceremony nach. „Wir. Wir. Wir!“, pariert die Menge, die für das nun folgende Spektakel aus allen Ecken des Landes angereist ist. Zum Schlesischen Tor am Hauptstadtfluss. Einem historischen Gemäuer im Epizentrum der Kreuzberger Bohème.
Zu Zeiten von Friedrich Wilhelm I war es das östlichste von 14 Toren einer Zollmauer, die der Preußenkönig zwischen 1734 und 1737 errichten ließ, um Handel und Wandel zu überwachen. 1902 wurde es zum Domizil des gleichnamigen Hochbahnhofs, erbaut für die erste U-Bahn-Strecke Berlins – später Kulisse für das Musical „Linie 1“. Der Bahnhof selbst war Endstation im amerikanischen Sektor. Wird schließlich Dreh- und Angelpunkt des wiedervereinigten Berlins und ist heute ein Treffpunkt für Partygänger, trendige Touristen. Obdachlose, kleine und große Kriminelle. Nicht selten wird zugehauen. Zuweilen auch wortgewaltig, ohne Fäuste.
Immer dann, wenn im Bi Nuu, einer Party-Location direkt im Gemäuer des Bahnhofs, ein Gemetzel besonderer Art stattfindet: RaM – Rap am Mittwoch. Eine Free Style Schlacht, die mit den Waffen der Sprache ausgetragen wird, messerscharfen Wortgeschossen, Reimen statt Schwertern. Ihr Erfinder, Jonathan Kalmanovich, alias Jonni aka Ben Salomo, ist 38 Jahre alt. Geboren in Rechovot, 20 Kilometer südlich von Tel Aviv. Seit 1981 lebt er in Berlin. Wir treffen ihn und Teamkollege Cihan Bilgin am Bahnhofseingang. Es ist dunkel, ungewöhnlich warm für einen November-Tag. Menschen hetzen vorbei. Einige verharren, um Hester und Holly Rose beim Musizieren zuzuhören. „Der Schlesi steht für Lärm und Verkehrschaos“, findet Ben. „Und für unser Event“, ergänzt Cihan.
Wohin gehen wir? In den 90er Jahren war die Frage schwer zu beantworten. „Teile Kreuzbergs galten als üble No-Go-Areas. Es gab Gangs wie 36Boys, Black Panther oder die Araber Boys. Mit denen hat man sich auf keinen Fall angelegt“, erzählt Ben. Heute fällt der Blick auf den BURGERmeister, gleich gegenüber unter den Bahngleisen. „Wo früher Toiletten waren, essen heute überwiegend Touristen. Wir auch manchmal nach der Show. Davor bin ich immer dort“, sagt Cihan und zeigt auf SALUT Backwaren. Wir schlängeln uns durch den Feierabendstau. Schon von weitem duftet es nach Leckereien. Vor dem Geschäft laden Tische und Stühle zum Verweilen ein.
RaM erblickt Ende der 90er Jahre das Licht der Kreuzberger Kampfzone. Die Veranstaltung ist ein Gegenentwurf zum legendären Royal Bunker, einem Treffpunkt für Freestyler, der den deutschen Untergrund Rap mit Künstlern wie Frauenarzt, Sido und B-Tight hervorbringt. Vorbild sind die Cyphers des amerikanischen Labels Project Blowed. Rapper King Kool Savas bringt die Idee nach Deutschland, Rap-Aktivist Marcus Staiger setzt sie um. Als Royal Bunker schließen muss, zieht die Karawane weiter. Zu RaM, das zunächst in einem Kellergeschoss in der Ufa-Fabrik hausiert. Nach mehrjähriger Pause kehrt die Show 2010 in die Kreuzberger Oberwelt zurück. Aber nicht nur. Gastspiele gibt es auch in Frankfurt, Bochum, Hamburg, Münster, München.
Zum Team gehören Rapper und Co-Moderator Andres Mba, alias Tierstar, Halb-Ukrainer, Halb-Guineaner wie auch der polnische DJ Pete, Kameramann Spooky sowie Chefredakteur und Organisator Cihan, der in Halfeti geboren wurde. Wo das ist? „Am liebsten wäre mir, wenn du Kurdistan schreibst“, sagt der 21jährige in hessischer Mundart. Ein kurdisch-stämmiger Offenbacher, der seit zwei Jahren in Berlin lebt und das Areal um den Bahnhof wie seine Westentasche kennt. Weil es Orte wie diesen gibt, kämen die Leute nach Berlin.
Ebenso multi-kulti wie die Macher von RaM, sind seine Akteure. „Wir hatten Franzosen, Italiener, Polen, Philippinos, Ägypter, Palestinenser auf der Bühne“, erzählt Ben. „Es wird in allen Sprachen gerappt.“ Nach der Cypher, einer Art Open Mic für ambitionierte Jungrapper, folgt die Battlemania mit Zweikämpfen für Fortgeschrittene. Danach die Battlemania Champions League, bei der sich die Besten der Szene duellieren. Kannst Du ganz schnell was freestylen? Ben lächelt und beginnt:
Hi, mein Name ist Ben Salomo.
Ich heb mich hervor.
Ich mache Rap am Mittwoch,
Direkt am Schlesischen Tor.
Die Touristen am Nachbartisch hören auf zu plaudern und lauschen:
Ihr könnt euch sicher sein, dass ihr niemals enttäuscht werdet.
Wir sind mitten in Berlin, das hier ist Kreuzberg.
Die Leute kommen aus der ganzen Welt.
Lassen hier ihre Gefühle, ihre Träume, ihr Geld.
Der fix improvisierte Text klingt gefällig. Dabei ist Battle Rap nichts für sensible Gemüter. Nirgendwo sonst werden verbal mehr Mütter gefickt. Weiße oder schwarze. Vollkommen egal. Denn am Ende heißt es: Peace, Alta. Sogar „Rassistische Witze“, so Ben, „sind im Battle Rap erlaubt. Wer tatsächlich Rassist ist, geht nicht auf die Bühne, um seinem Kontrahenten danach die Hand zu geben.“ Echten Rassismus würde er sofort unterbinden. Deswegen sei RaM auch ein sozial-pädagogisches Projekt. „Wir geben Hinweise und Anleitung. Fordern Respekt und Anerkennung. Ermahnen das Publikum, wenn es einen jungen Künstler ausbuht. Fast schon lehrermäßig.“
Die Show am Schlesi ist zur Institution geworden. Obwohl die umliegenden Lokationen ausreichend Amusement bieten. Das Lido war mal ein Kino. Jetzt dröhnt Balkanrock, Techno und Heavy Metal durch die Wände. Der Privatclub ist ein „kleiner feiner Schuppen“, das Watergate „so ein Snob-Verein“. Die Revaler Straße mit ihren Kultbutzen, von Cassiopeia über Astra bis Badehaus: „Die Partys sind gut, aber das Areal ist voller gefährlicher Leute“, bedauert Cihan. Mit der East Side Gallery verbindet Ben „das Bild mit Deutschlandfahne und Davidstern.“ Freude und Enttäuschung zugleich. „Es gibt mir das Gefühl, zuhause zu sein. Aber wenn es beschmiert wird, dann doch wieder nicht.“
Migration und Integration. Bei Rap am Mittwoch wird das Thema dieser Tage seit Jahren gelebt. Jeden ersten Mittwoch, wenn Ben die Menge dirigiert. Junge Rapper tröstet, die ihre Texte versemmeln. Den Publikumsliebling der Show ankündigt: Fresh Polakke. Den Rapper mit grobem Polenwitz. „Mach‘ mal Lärm, Berlin“. Jungs werden grölen. Mädels kreischen. Showtime für Touristen und Einheimische: Die Schlachteplatte im Schlesi ist angerichtet.
.
Text: Sarah Paulus (www.sarahpaulus.de)
Foto: Rolf G. Wackenberg (www.wackenberg.com)