„Spieglein, Spieglein an der Wand – wer kennt das schönste Urlaubsland?“ Es ist 15 Uhr an einem Sommertag. Reisende, die in Schottland ihren zwei bis dreiwöchigen Jahresurlaub verbracht haben, brechen gen Heimat auf. Der Fährhafen Newcastle verabschiedet sie mit weißblauem Himmel. An Board der Princess Seaways finden die Rückkehrer zusammen. Gesprächsfetzen wabern umher. Ob Edinburgh oder St. Andrews. Ben Navis und die westlichen Highlands. Orkneys oder Hebriden. Lochs und Lowlands, Die Urlauber mimen Begeisterung und überbieten sich gegenseitig mit allerlei Traumstrandgeschwätz. Seltsamerweise wirken sie recht blass um die Nase. Ich hingegen sehe aus, als hätte ich drei Wochen in der Karibik verbracht. Und noch etwas unterscheidet uns: Ich hasse Schottland.
Hier meine Antithesen zur Schottland-Euphorie. Fünf Gründe, warum die schönste Zeit des Jahres anderswo verbracht werden sollte:
1 – Wetter: Ein schottisches Sprichwort sagt: „Wenn Dir das Wetter nicht gefällt, warte ein paar Minuten.“ Richtig. Nicht selten ändert sich das Wetter aber auch, obwohl es gefällt. Strahlend blauer Himmel am Abend? Jede Wette, dass der nächste Tag komplett ins Wasser fällt. Bei ständiger Nässe und durchschnittlichen 14 Grad sind alle Katzen grau. Auch grandiose Landschaften. Was bleibt, ist ein gewisser Hang zum Nihilismus, wie ihn die Angelsachsen pflegen. Scheiß auf Regenkälte, wir gehen trotzdem baden. In Clash Nessie, bei 11 Grad und steifer Brise.
2 – Orte: Edinburgh und St. Andrews sind toll. So auch Oban, Ullapool und Tarbert auf der Halbinsel Kintyre. Die größten Enttäuschungen: Thurso, nördlichste Stadt auf schottischem Festland, besticht mit niegelnagelneuem Lidl, dem schönsten Gebäude der Stadt. Ansonsten ist jeden Abend Totentanz. Fort Williams, die Fußgängerzone könnte auch in Bielefeld sein. Abseits der urbanen Hotspots ein Flickenteppich aus geschmacklosen Siedlungen, die jedes Brandenburger Vorwerk wie ein Schmuckstück aussehen lassen. Die Provence des Nordens sucht man vergebens. Nicht wenige Schotten hausen in feuchten Katen, bepflastern den schlammigen Hof mit Rostlauben, aus denen Alltagsmüll quillt. Liebevoll verfallen sieht anders aus.
3 – Landschaft: Nach Schottland fährt man nicht wegen der Städte? Stimmt. Was allerdings fehlt, ist eine Art Alleinstellungsmerkmal. Stattdessen: Berge und Wälder wie in Kanada. Seen, die auch an Schweizer Ufer schwappen könnten. Plattes Land wie in Sachsen-Anhalt.
4 – Ungeziefer: Staatsfeind Nr. 1 sind Midges. Obstfliegengroße Biester, die ab 19 Uhr millionenfach ausschwärmen und über alles herfallen, das Wärme ausstrahlt. Lieblingsfarbe: Schwarz. Lieblingsversteck: Kleidung und Haare. Lieblingsbeschäftigung: Beißen. Lieblingswitz: Mückenspray. Natürliche Feinde: Wind, Feuer, Kälte. Dagegen sind die afrikanischen Moskito-Schwestern ein Klacks. Ab 23 Uhr ist der Spuk in der Regel vorbei. Aber auch tagsüber lauert die Achse des Bösen. Spätestens beim Marsch durchs Gelände. Ein bis zwei Zecken pro Tag sind keine Seltenheit.
5 – Preise: „Schottland ist so teuer. Wir waren nur am Sparen“, erzählt eine Urlauberin ihrer Familie am Telefon. Einkaufen bei Supervalue, Tesco & Co.? Dagegen ist Kaisers die reinste Billigbutze. Tanken für 1,20 Pfund der Liter Diesel? Bei einem Kurs von 1,40 sollte der Kauf eines Wanderstocks ins Auge gefasst werden. Oder Kultur. Falkland Palace etwa nebst Park für 13 Pfund pro Person. Da bleibt man lieber Zaungast. Den Vogel jedoch schießt DFDS mit seiner Fähre zwischen Amsterdam und Newcastle ab. Hier herrscht Kabinenzwang. Es gibt keine preiswerten Ruhesessel. Das Filmangebot muss extra bezahlt werden. Eine simple Pizza Margarita kostet 15 Euro. Alternativen sind rar. Mein nächstes Buchprojekt: Schottland für Sparschweinchen.
6 – Kneipen: Orte, an denen Frust wegen 1-5 ertränkt werden könnte. In den abgelegenen Landesteilen sind Pubs allerdings Mangelware. Zugegeben – bei uns auch. Deswegen sind weder deutsche noch schottische Kneipen Exportprodukte, sondern Irish Pubs. Sie sind eine Mischung aus Omas guter Stube und Heimatmuseum, die Überleben in jedem noch so kleinen Dorf ermöglichen. Vergleichbares hat Schottland nicht zu bieten. Gewarnt seien auch Jugendliche „under age“, also unter 18: Sie dürfen die Frustertränkstätte nur in Begleitung eines Erwachsenen betreten, ausschließlich zum Essen, der Tresen ist tabu, Alkohol sowieso, selbst Bier. Das Ganze husch, husch. Gegen 21 Uhr oder so ist Schluss. Zustände sind das, wie in Amerika.
Fazit: Natürlich ist Schottland genauso fantastisch, grandios, beeindruckend wie alle sagen. Und die Menschen sind überaus liebenwürdig. Wer jeden Sonnenstrahl aussitzt, bekommt sogar etwas Bräune. Der ständige Umgang mit dem ewigen Grau führt allerdings zu latenter Depression. Nächstes Jahr versuche ich es mal mit Island.
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Text: Sarah Paulus (www.sarahpaulus.de)
Foto/s: Rolf G. Wackenberg (www.wackenberg.com)
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