Der bekannteste Kuba-Reisende des 20. Jahrhunderts? Ausgerechnet ein Amerikaner. Literatur-Nobelpreisträger Ernest Miller Hemingway kam oft und lange auf die Insel, erstmalig 1928. Hier schrieb er seine berühmte Erzählung „Der alte Mann und das Meer“. In Havannas Kneipen pflegte er seine Liebe zu Hochprozentigem. Daiquiri im Floridita, Mojito in der Bodeguita del Medio. Beide Etablissements sind heute touristische Hotspots, die ihren Ruf den Alkoholexzessen des amerikanischen Touristen verdanken. Doch auch anderswo sonnt sich Kuba im Hemingway-Feeling.
500 Kilometer östlich von Havanna liegt der Ort Camagüey. Im Zentrum die Bar El Cambio, die sich gern als „Bodeguita del Medio Camagüeys“ bezeichnet, in Anlehnung an Hemingways Mojito-Quelle in der Hauptstadt. Es ist später Nachmittag. Neben uns am Tresen sitzt durstiges Volk. Eine Gruppe Spanier leert Bierdosen im Minutentakt. An den Wänden der Bar haben sich trinkfeste Reisende aus aller Herren Länder verewigt. Unübersehbar ein Konterfei des US-amerikanischen Gonzo-Journalisten Hunter S. Thompson. Bei Hemingways Gelagen hätte er mithalten können. Aber hat Thompson tatsächlich in dieser Bar getrunken? Der Kellner nickt. Gut fürs Marketing, doch Zweifel bleiben.
Denn seit Hemingways Zeit hat sich einiges verändert. Der Vertreibung Batistas, dem „Presidente Americano“, folgte ein sozialistisches Versuchsfeld und mit ihm die Verstaatlichung sämtlichen US-amerikanischen Eigentums nebst Handels-Embargo im Gegenzug. 1982 schrieb Uncle Sam den Inselzwerg auf die Liste staatlicher Sponsoren des Terrors. Wie steht es also heute um die Erzfeindschaft? Dürfen Amerikaner nach Kuba reisen? Und wie verhält sich Nachbar Kanada?
„Mehr als die Hälfte aller Kubareisenden sind Kanadier“, erzählt Roosevelt, gebürtiger Haitianer mit Che-Guevara-Mütze, der seit seiner Kindheit in der Ahornrepublik lebt. Mittlerweile pensioniert, tingelt er durch Lateinamerika. Dass der „Sozialismus unter Palmen“ seit Jahrzehnten am Abgrund laboriert, schreibt er dem US-Embargo zu. Sein Land hingegen habe von Nibelungentreue nicht viel gehalten. „Kanada ist Kubas wichtigster Handelspartner“, behauptet er stolz, was ein Blick ins CIA World Factbook bestätigt: 2012 gingen 18% aller kubanischen Exporte nach Kanada, gefolgt von China, Venezuela, Holland und Spanien. Importierte Waren kamen nicht nur aus Venezuela oder China, sondern auch aus den USA. Trotz Embargo. So geben sich in Castros Kneipen Coca-Cola und Pepsi die Ehre, als sei nichts gewesen. US-Flaggen schmücken wie selbstverständlich T-Shirts, Bici-Taxis oder Pizza-Stände. Buenvenidos Americanos, geliebter Feind.
„Viele Amerikaner kommen nach Kuba“, weiß Esteban, Mitarbeiter einer Tourismus-Agentur in Cienfuegos. Sogleich tippt er auf seinem Laptop herum. Bis sich die Internetseite des ONEI, eine Art Statistisches Bundesamt, öffnet, vergeht eine gefühlte Ewigkeit. Schuld sei das Embargo, welches den Zugang zu einem schnelleren Breitbandnetz verhindert. Den wachsenden Zustrom des Klassenfeinds verhindert es offenbar nicht. „92.000 Amerikaner sind 2013 in unser Land gekommen“, berichtet Esteban. „Mehr als doppelt so viele wie 2008“. Doch wie geht das?
Im Bus zwischen Cienfuegos und Havanna treffen wir Robert, der in Rochester im Bundesstaat New York lebt. Ein echter amerikanischer Tourist? Bob schüttelt den Kopf. Er ist Professor für Sportmanagement am College von Brockport und für etwa zehn Tage in Kuba unterwegs, um an den Universitäten von Havanna und Santa Clara Vorträge zu halten. „Amerikanern ist es bis heute verboten, aus rein touristischen Gründen nach Kuba zu reisen“, erklärt er. Muss man also einen gewichtigen Grund „erfinden“? Der Professor nickt und berichtet von den „Cuban Assets Control Regulations“, die am 8. Juli 1963 vom Office of Foreign Assets Control (OFAC), einer Abteilung des Finanzministeriums, unter dem „Trading with the Enemy Act“ eingeführt wurden. Das seit den 1960er Jahren mehrmals geänderte Papier ist nicht zuletzt eine Reiserichtlinie, regelt aber auch Aspekte der Zusammenarbeit in Bereichen wie Telekommunikation und Zahlungsverkehr.
In Folge des Embargos gibt es bis heute keine Linienflüge zwischen Amerika und Kuba. Wer reif für die Insel ist, muss auf eine der zwei lizenzierten Charterfluggesellschaften ausweichen, die in Florida, neuerdings auch von New York abheben, oder über Mexiko bzw. Kanada einreisen. „Amerikanische Kreditkarten werden nicht akzeptiert, Dollars mit einem Aufschlag von 13% getauscht“, berichtet Bob. Wer clever ist, wechselt die heimische Währung vorher in kanadische Dollar.
US-Amerikaner, die Kuba legal besuchen wollen, müssen einen von 12 Einreisegründen erfüllen: Journalismus etwa, Bildung, Religion oder Forschung. Je nach Kategorie gibt es spezifische oder allgemeingültige Genehmigungen. So reist Bob in der Kategorie Bildung und musste keine Erlaubnis einholen, sondern lediglich Dokumente bei sich führen, die eben diesen Reisezweck bestätigen. Den Kubanern ist das alles ziemlich egal. Auch jenseits der Vorträge könne sich Bob auf der Insel völlig frei bewegen. Der real existierende scheint einem pragmatischen Sozialismus gewichen zu sein. Mehr noch – er unterstützt offenbar selbst illegal Einreisende, wovon es einige geben soll. „Amerikanische Pässe werden auf Wunsch nicht gestempelt.“, weiß Bob zu berichten.
Legal oder illegal, die Grenzen sind fließend. Der bereits erwähnte Hunter S. Thompson reiste 1999 mit Johnny Depp nach Kuba, „um mit Fidel Castro Zigarren zu rauchen“. Offizieller Einreisegrund: Journalismus. In Depps Worten klingt das so: “My Cuban memories are rum, rum, and a crazy guy who thought he was Beethoven.”
Andere US-VIPs kamen nicht so glimpflich davon. Nachdem die Pop-Titanen Beyoncé Knowles und Jay Z im April 2013 anlässlich ihres 5. Hochzeitstages nach Kuba gereist waren, wallte Empörung durch das Land der unendlichen Möglichkeiten, da man eine Verletzung der Embargo-Bestimmungen vermutete. Der Sturm im Wasserglas musste mit einer offiziellen Erklärung der OFAC besänftigt werden.
Will heißen? Nicht die vermeintliche Diktatur, sondern der selbst ernannte Exporteur von Demokratie und Meinungsfreiheit beschränkt die Freizügigkeit seiner Bürger. Genutzt hat das wenig. „Die Isolation Kubas hat nicht funktioniert“, erklärte Präsident Obama im Dezember 2014. Vier Monate später steht Kuba nicht mehr auf der Liste der Terrorunterstützer. Der Stachel im Fleisch der Weltmacht hat alle Krisen überlebt. Und bald wird es wohl auch legale amerikanische Touristen auf der Insel geben.
Sarah Paulus
.
Text: Sarah Paulus (www.sarahpaulus.de)
Foto: Rolf G. Wackenberg (www.wackenberg.com)