Cayo Las Brujas. Inmitten der Jardines del Rey, den Königsgärten, wie die Koralleninseln vor Kubas nördlicher Atlantikküste genannt werden. Zum Festland führt der Pedraplén, ein 1996 eröffneter Steindamm. Wir stehen an einer einsamen Zufahrtsstraße, wenige hundert Meter vom Hotel der letzten Tage entfernt und heben den Daumen.
Seit unserer Ankunft im Land der Castros haben wir mehr als 1.500 Kilometer zurückgelegt. Mit einem Mietwagen der Marke KIA Picanto durch den Inselwesten. Den Ort Camagüey, 500 km östlich von Havanna, erreichten wir nach zwölf Stunden schaukeliger Busfahrt. In Ermangelung eines Sammeltaxis, das trotz großherziger Versprechen nicht erscheinen wollte, gelang uns die Weiterfahrt im Mietwagen eines Pärchens aus Tschechien, das wir kurz zuvor beim Frühstück kennengelernt hatten.
Die jungen Leute aus Prag wollten ursprünglich nach Cayo Coco. Doch schon in Morón, auf halber Strecke zwischen Camagüey und unserem Ziel, war die Stimmung im Kleinwagen so ausgelassen, dass sie ihre Planung spontan über den Haufen schmissen, um mit uns Cayo las Brujas anzusteuern. Zudem hatte die Aussicht auf eine Flasche Havana Club nebst kostenloser Schlafgelegenheit ihre Wirkung nicht verfehlt. Der Abend wurde lang, die beiden mussten am nächsten Tag weiter, wir blieben eine weitere Nacht.
Der kubanische Verkehr gibt sich gemütlich, über die meisten Straßen außerhalb größerer Städte rollt nur hin und wieder ein Fahrzeug. Die Koralleninseln gehen noch einen Schritt weiter. Hier gibt es außer wenigen Touristenbussen keinerlei öffentlichen Verkehr. An diesem Morgen heißt unser Ziel Santa Clara, nur 100 Kilometer entfernt. Einsam dehnt sich die Piste vor uns aus.
Wir stehen ambitioniert am Straßenrand. Trampen erfordert Haltung. Weder sollte man die Hände lässig in den Taschen vergraben, noch schlaff und wurmstichig herumstehen. Die zu überzeugende Zielperson, der Fahrer eines Wagens, sollte intuitiv von Seriosität und Zielstrebigkeit des Trampers überzeugt sein. Meine Tramperhaltung ist ziemlich gut, zudem weltweit erprobt. Wer mich sieht, nimmt mich mit.
So hoffentlich auch jetzt. Die Sonne heizt bereits kräftig. Ein erster Wagen hält. Der rote Moskwitsch entpuppt sich jedoch als Taxi. 70 CUC, knapp ebenso viele Euros, werden aufgerufen. Das hat nichts mit Trampen zu tun. Wir lassen ihnen ziehen, seine Silhouette verschwimmt mit dem Horizont.
Menschen, die eine Mitfahrgelegenheit suchen, gehören in Kuba zum Straßenbild. Selbst auf der Autobahn, die hier aussieht wie in Ostdeutschland in den 1980 Jahren, sofern man Pferdekutschen, Radfahrer, Rinder und Händler, die wichtige Dinge des täglichen Bedarfs feilbieten, nicht in den Vergleich einbezieht. Die Höchstgeschwindigkeit beträgt 80 km/h. Wer eine Abfahrt verpasst hat, wendet oder fährt ein Stückchen rückwärts. Ist ja weit und breit niemand da, den man gefährden könnte.
Es gibt nur wenige Fahrzeuge auf der Insel. Deswegen ist Trampen eine Notwendigkeit. Die Chancen, mitgenommen zu werden, sind nicht zuletzt deshalb gut, weil der Fahrer immer einen bescheidenen Obolus erwarten kann. Geben westliche Touristen beispielsweise einen CUC, hat der Fahrer ungefähr ein Zwanzigstel des durchschnittlichen Monatslohnes verdient.
Ein Transgaviota auf Leerfahrt naht, bremst und hält an. Aufsitzen für einen Katzensprung von wenigen Kilometern. Der klimatisierte Touristenbus bringt uns zum Pedraplén, der Hauptpiste in Richtung Festland, wo sich auch die Landebahn von Cayo las Brujas befindet. Ich drücke dem Fahrer eine Münze in die Hand. Er surrt von dannen. Zum Flugplatz. Zu den nördlicher gelegenen Inseln. Wohin auch immer.
Um dem „Sozialismus unter Palmen“ eine letzte Audienz zu erweisen, zieht es derzeit viele Menschen nach Kuba. Seit 2008 hat sich die Zahl der Touristen, die zum überwiegenden Teil aus Kanada, Italien und Spanien kommen, um mehr als 20% erhöht. Tendenz weiter steigend. Angesichts der im Ergebnis der laufenden Gespräche mit dem imperialistischen Erzfeind zu erwartenden Veränderungen, erfährt das Land gerade eine Art Last-Minute-Run. Als gäbe es kein morgen. Was hinsichtlich der musealen Inselgegenwart, die sich seit mehr als 50 Jahren stur gegen die globale Entwicklung stemmt, nicht zu überraschen vermag.
Schon jetzt kommt die Administration in Bedrängnis. Wir sind mit einer voll besetzten Boeing 777-300ER gelandet. Die Karawane der Einreisenden, 500 Menschen auf einen Schlag, verstopfte die überforderte Passkontrolle. Zwar kämpften Bedienstete an 17 Schaltern, doch die Mühlen der Emigration mahlten träge und ließen die Entdeckung der karibischen Langsamkeit zu einem Belastungstest für Körper und Geist werden. Ein Rentner kippte aus der Reihe. Andere nutzten die Zeit sinnvoll, auf dem Klo durfte geraucht werden. Nach über zwei Stunden war der Eingangstest bestanden.
Doch zurück zum Pedraplén. Nur wenige Minuten nachdem uns Transgaviota abgesetzt hat, hält ein weiterer Bus. Dieses Mal keine schicke Touristenkutsche, sondern ein bescheidenes Gefährt, das kubanische Arbeiter zu den Inseln transportiert. Die Mitfahrgelegenheit bringt uns bis Caibarién. Etwa 40 Kilometer, knapp die Hälfte der Wegstrecke, düsen wir über das Gros der 45 Brücken des Pedraplén, die angelegt wurden, um den Wasseraustausch zwischen den vom Damm getrennten Meeresteilen zu gewährleisten.
Trampen ohne Pause? Ein Wunder, wenn wir bis Santa Clara durchrutschen könnten. Doch in Caibarién ist erst einmal Schluss mit der Fahrerei. Wir haben uns vor einem Wegweiser positioniert. Die gesamte Vielfalt der kubanischen Beförderungsmöglichkeiten zieht vorbei. Natürlich die unvermeidlichen Oldtimer. Aber auch Fahrräder mit Anhängern, die innerhalb der Ortschaft als Taxen unterwegs sind. Imposante Camelios, Sattelzüge deren spezielle Aufleger Kamelhöckern ähneln. Ausgediente Lkws, auf deren Ladeflächen Menschen wie zusammengepferchtes Vieh transportiert werden. Einer hält, doch beim besten Willen lässt sich kein freies Plätzchen finden. Reisebusse schweben ungerührt vorbei. Gut mit Touristen gefüllt, schenken sie den Trampern am Straßenrand keinen Blick.
Hat uns das Glück verlassen? Nicht doch. Ein Mototaxi tuckert heran, um seine Dienste anzubieten. Wohlan. Wir rumpeln auf einem Anhänger mit vier weiteren Fahrgästen bis Remedios, weitere 7 Kilometer unserem Ziel entgegen. Der Fahrer verlangt 20 Peso, umgerechnet 70 Euro-Cent.
In Remedios endet die Tour am Ortsausgang, was Vor- und Nachteile bringt. Vorteil: Es gibt eine Haltestelle, vor der einige Menschen warten, was auf öffentlichen Nahverkehr hoffen lässt. Nachteil: Der Hauptverkehr fließt anderswo, denn Remedios kann über eine Umgehungsstraße umfahren werden. Wir stehen buchstäblich im Regen. Kaum haben wir uns positioniert, öffnet der Himmel seine Schleusen. Glücklicherweise gibt es ein Bushäuschen, in dem Gepäck und Reisende Unterschlupf finden. Nach einer halben Stunde Wartezeit kommt ein Bus, der aus allen Nähten platzt. 30 Minuten später naht die nächste Hoffnung. „Camajuani“, brüllt der Fahrer gegen den Motorenlärm an und kassiert 50 Peso für 10 Kilometer. Wir drängeln ins Innere.
Busfahren auf Kuba ist recht einfach. Es gibt zwei Busgesellschaften – Viazul und Astro. Viazul ist Touristen und CUC-Zahlern vorbehalten. Tickets kauft man sicherheitshalber einen Tag vorher. Die Flotte besteht aus komfortablen chinesischen Fabrikaten mit Multimediaangebot. Und leistungsstarken Klimaanlagen. Eine Fahrt ohne wärmende Kleidung sollte vermieden werden.
Mit Astro, der zweiten Busgesellschaft, wird wesentlich preiswerter gereist. Doch der Service steht nur Einheimischen zu und kann von Touristen offiziell nicht gebucht werden. Selbst ein heimliches Hineinmogeln ist unmöglich, da schon am Ticketschalter Pässe vorgelegt werden müssen. Wer jedoch an der Landstraße steht, den Daumen nebst ein paar Scheinen in den Wind hält, darf einsteigen.
Mittags in Camajuani. Die Sonne steht senkrecht. Der Asphalt glüht. In einer Gaststätte an der Dorfstraße gibt es heimische Tukola nebst Huhn mit Reis. Am Ende der Mittagspause verfallen wir dem Charme eines Oldtimer-Taxis und schaukeln die letzten 30 Kilometer bis nach Santa Clara in einem langsam-bedächtigen Ritt.
Fazit: Auf Kuba ist vieles möglich. Auch Trampen. Es entschleunigt und bietet hautnahe Einblicke in das lokale Transportwesen. Dennoch ist es kein echtes Trampen, kein kostenloses Fahrgefühl, wie in unseren Gefilden üblich. Immerhin preiswert. Spannend allemal.
Sarah Paulus
.
Text: Sarah Paulus (www.sarahpaulus.de)
Foto: Rolf G. Wackenberg (www.wackenberg.com)