Dezember 2014. Ein Montagabend in Dresden. Zeit der Besinnlichkeit, des friedlichen Miteinanders bei Kerzenschein und Weihnachtsmusik. Doch in der sächsischen Elbflorenz findet Besinnung nicht nur bei Christstollen und Glühwein statt. 15.000 Menschen, Tendenz steigend, folgen dem Ruf auf die Straße. Sie verstehen sich als Teil einer Bürgerbewegung, die den Namen Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes trägt, kurz Pegida. Sie folgen einem Mann mit Vergangenheit. Lutz Bachmann ist gelernter Koch. Einer, der wegen nicht unerheblicher Fehltritte strafrechtlich belangt wurde. Um dem Vollzug zu entgehen, floh er nach Südafrika und wurde ausgewiesen, als man ihm auf die Schliche kam. Er ist Träger des sächsischen Fluthelferordens und wegen Drogenhandel auf Bewährung.
Sich selbst und seine Jünger hat Bachmann auf einen Wertekanon mit 19 Punkten eingeschworen. Jeder einzelne besteht aus einer klar formulierten FÜR oder GEGEN-Forderung, die im Durchschnitt nicht mehr als zwei Zeilen lang ist. Das Ganze passt auf eine A4 Seite. Jeder, der lesen kann, versteht fix, was die Bewegung will. Und was nicht. Problematisch ist, dass sie in keine rechte Schublade passen will. Selbst der sächsische Verfassungsschutz teilt mit, „dass eine wachsende Teilnahmebereitschaft und Einflussnahmen von Rechtsextremisten in Dresden nicht festgestellt werden kann“. Sind die Demonstranten also im Wesentlichen Menschen wie du und ich, die ihre freiheitlich-demokratischen Grundrechte wahrnehmen?
„Aus der Mitte der Gesellschaft heißt nicht automatisch demokratisch“, befindet Gesine Schwan. Pro-Asyl stuft die Protestler als rassistisch ein. Für Justizminister Heiko Maas sind sie „eine Schande für Deutschland“. Die Dresdner Bewegten folgen dennoch ihrem Heiland. Was Politik und Medien zutiefst verstört. In den Korridoren der Macht, in Redaktionsstuben und Talkshows ringen Welterklärer, Bilderbuchdemokraten und Meinungsfreiheitler um Stellung. „Chaoten und Strömungen, die wenig hilfreich sind, sollten weniger Beachtung finden“, rät Bundespräsident Gauck, während Kanzlerin Merkel feststellt: „In Deutschland gibt es zwar die Demonstrationsfreiheit. Aber es ist kein Platz für Hetze und Verleumdung von Menschen, die aus anderen Ländern zu uns kommen.“
Die Berichterstattung in fast allen Medien eint ein tendenziöser, gleichschreitender, die Mittel der Suggestion bewusst einsetzender Duktus. Dazu gehören implizit abwertende Adjektive wie „selbsternannt“, „angeblich“ und „sogenannt“. Oder die Bezeichnung der Demonstrationen als „Aufmärsche“, wie bei rechtsradikalen Versammlungen üblich, als „rechtspopulistisches“, gar „übelriechendes Stimmungsgebräu“. Ihre Wortführer „heizen der Menge ein“, was keiner der ach so unabhängigen Journalisten über einen Wahlkampfredner der etablierten Parteien schreiben würde. Folgerichtig wird das Pegida-Positionspapier in der Redaktion von FR-Online als „rätselhaftes Sammelsurium“ abgetan, anstatt sich dezidiert mit den besagt einfachen Sätzen zu beschäftigen und auf diesem Weg inhaltlich zu klären, ob das Dresdner Manifest nun tatsächlich islamfeindliches und rechtsradikales Gedankengut enthält.
Die mediale Konterrevolution bleibt nicht aus. Menschen, die als rassistisch, fremdenfeindlich, rechtspopulistisch und übelriechend verschrien werden, ohne dass man sich mit ihnen auseinandergesetzt hätte, distanzieren sich zunehmend von Presse und Medien. Und schießen zurück: „Lügenpresse“, „Wortverdreher“. Mehr noch: Wer als Journalist bei Pegida nachfragt, muss Auflagen erfüllen. Beispielsweise im Falle unvollständiger oder falscher Zitate, beklagt ein Journalist im Tagesspiegel. Selbstverständlich nicht ohne abschließende Bewertung: „Man kann das lächerlich finden oder für paranoid halten.“
Was eigentlich? Dass die Beschriebenen richtig zitiert werden möchten?
Am Rand des kommunikativen Gemetzels bildet sich die deutsche Restbevölkerung eine eigene Meinung. In einer von ZEIT ONLINE in Auftrag gegebenen repräsentativen Umfrage bekennen 49% der Befragten Verständnis für die Demonstrationen, weitere 30% „voll und ganz“ Verständnis für deren Anliegen. Was heißt das jetzt? Dass die deutsche Schande möglicherweise aus vielen mehr als jenen 15.000 Gauckschen Chaoten besteht? Und wenn ja, woraus erklärt sich Maasens deutsche Schande?
Um den üblichen Reflexen vorzubeugen sei an dieser Stelle klargestellt: Das reiche Deutschland steht in der Verantwortung, Flüchtlinge aufzunehmen und sie menschenwürdig zu behandeln. Pegida dient für diesen Text lediglich als Beispiel, als Anlass vielleicht, um die Frage zu diskutieren, wie es hierzulande um die Akzeptanz von Andersdenkenden grundsätzlich bestellt ist und welchen Beitrag Presse, Funk und Fernsehen zur differenzierten Auseinandersetzung mit komplexen Gemengelagen leisten.
Weitere Beispiele: Der arabischer Frühling wurde in den deutschen Medien kollektiv und gänzlich unkritisch bejubelt. Das Übergreifen der Protestbewegung auf Syrien? Frenetische Begeisterung. Keine Überlegung darüber, ob sich der Mittlere Osten für die kommenden Dekaden komplett destabilisiert und sich dadurch signifikante Gefahren für die globale Weltbevölkerung ergeben könnten. Der mittlerweile bis zum Erbrechen ausgelutschte Begriff „Demokratie“ wurde auch hier genutzt, um sämtliche Bedenken wegzubügeln. Beinahe jeder deutsche Journalist gierte förmlich nach dem Sturz des verhassten Machthabers. Dessen Vorwurf, die syrische „Revolution“ sei ferngesteuert, wurde nie ernsthaft betrachtet.
Der Friedensnobelpreis? Ein minderjähriges pakistanisches Mädchen, dessen Lebenswerk schon allein qua seines Alters mit gewissen Einschränkungen zu bewerten gewesen wäre, führt erwachsene Medien in ekstatischen Begeisterungstaumel. Oder die Berichterstattung über die orangene Revolution, die Protestbewegung auf dem Maidan und den anschließenden Ukrainekonflikt. Aus Mediensicht scheint die Welt ausschließlich in Schwarz oder Weiß zu existieren. Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen. Wie immer es gerade in die unreflektierte, opportunistische Wertvorstellung dieser Leute passt, werden Ex-Oligarchen, Gasprinzessinnen, Boxer, Lügner, Diebe und Schokoladenfabrikanten hofiert, während Russland, das allein wegen seiner Größe und Ressourcen von sensibler geopolitischer Bedeutung ist, wie ein Kleinkind behandelt wird.
Wohl nicht umsonst appellieren die etwa 60 Unterzeichner der Initiative „Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen“ an eben diese Medien, „ihrer Pflicht zur vorurteilsfreien Berichterstattung überzeugender nachzukommen als bisher“ und kritisieren, „dass Leitartikler und Kommentatoren ganze Völker dämonisieren, ohne deren Geschichte ausreichend zu würdigen.“ Ohne sie überhaupt zu kennen, möchte man dem hinzufügen. Initiatoren des Aufrufs sind der ehemalige Kanzlerberater Horst Teltschik, Ex-Verteidigungsstaatssekretär Walther Stützle und die frühere Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer. Zu den Unterzeichnern des Plädoyers, bei dem es im Wesentlichen um eine neue Entspannungspolitik für Europa und um eine konstruktivere wie respektvollere Auseinandersetzung mit Russland geht, zählen neben vielen Künstlern auch Persönlichkeiten wie Dr. Roman Herzog, Prof. Dr. Gabriele Krone-Schmalz, Gerhard Schröder und Dr. Hans-Joachim Vogel. Dass sie mit ihrer Mahnung nicht komplett falsch liegen, zeigt die Äußerung von Joseph La Gasse, Experte für internationale Sicherheit und früherer Berater von US-Präsident Barack Obama, der die internationale Gemeinschaft dazu aufforderte, „Russland im Inneren zu destabilisieren“. Was das bedeuten würde, kann man sich nur allzu leicht ausmalen.
Oder man denkt einfach nicht darüber nach. Wie Josef Joffe, Herausgeber der deutschen Wochenzeitung DIE ZEIT, der sich darauf beschränkt, den von den Medien erfundenen Putin-Verstehern ein „fantasievolles Geschichtsverständnis“ zu bescheinigen. Oder man gibt sich beleidigt, persönlich und stellvertretend für alle Kollegen, die in der Ukraine ihr Leben aufs Spiel setzen und legt wie radioeins Moderator Jörg Tadeusz eine beinahe zwanghafte Fixierung auf einige ausgewählte Mitunterzeichner an den Tag. Däubler-Gmelin etwa, die ex-Präsident Bush einst mit Hitler verglich. Und was denn die Verdienste von Gerhard Schröder gewesen seien? Eine Frage, die so unerhört blöd daherkommt, dass man den Verursacher zur Zwangsweiterbildung verpflichten möchte, damit er versteht, was Altmeister Peter Scholl-Latour mit dem „Fluch der bösen Tat“ meint und was passiert, wenn Russland tatsächlich auseinanderbrechen sollte.
Im Hinblick auf die programmatische Forderung der AfD, nach der die Bürger über Großmoscheen, die das Stadtbild verändern, abstimmen sollen, sagte der Publizist Michael Spreng jüngst, wenngleich in anderem Zusammenhang: „Ersetzen Sie mal das Wort Moscheen durch Synagogen und sie wären längst aus der bürgerlichen Gesellschaft ausgeschlossen.“ Die Tabuisierung von Kritik als Funktion der Zielgruppe. Auch eine Form von Diskriminierung. Und kein neues Phänomen. So treffend wurde es jedoch selten auf den Punkt gebracht.
Fazit: Der Umgang mit Andersdenkenden und -handelnden ist gleichschreitender denn je, nicht mehr als blindes Dahertreiben in farblosem Einheitsbrei. Wer nach Staats- oder Mediendoktrin auf der falschen Seite steht, wird als Person in Frage gestellt oder findet sich in der Schmuddelecke des Rassismus, Chauvinismus oder Rechtsextremismus wieder. Die eingangs erwähnte Umfrage zeigt allerdings, dass Politik und Medien jenseits des tatsächlichen gesellschaftlichen Konsens agieren. Warum sie das tun? Um dem unvermeidlichen Berufsverbot zu entgehen? Oder um den immer wieder zitierten Anfängen zu wehren?
Dazu sei gesagt: Eine einfache Wiederholung der Geschichte wird es nicht geben. Deswegen wäre es hilfreich, unsere scheinheilige Meinungsfreiheit vom Kopf auf die Füße zu stellen. Die Leitmedien hingegen zündeln durch einen permanent gleichgeschalteten Reflex und gefährden ihre Zukunft. Wenn sie in dieser Form fortwahren, werden ihre Kunden zunehmend fragen, wozu man sie noch braucht. Sie werden zusehen müssen, wie sich mehr als nur 15.000 Dresdner Bewegte von ihnen abwenden.
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Text: Sarah Paulus (www.sarahpaulus.de)
Grafik: Rolf G. Wackenberg (www.wackenberg.com)
Gestern waren in Dresden 17.500 auf der Strasse. Die Medien ‚zündeln‘ und graben ihr eigenes Grab, genau wie beschrieben.
Gruß René
Im Tagesspiegel sprach Wolfgang Donsbach, Prof. für Kommunikationswissenschaft, von ‚Medienverdrossenheit‘, deren Ursache auch darin bestünde, dass Medien nicht über Themen zu berichten, die den normalbürger interessierten. Die Medien hätten eine Verpflichtung über Pegida zu berichten. Wir hätten in Deutschland die Kultur der verschäften Political correctness, die es schwierig mache, nicht dem Mainstream entsprechende Themen ergebnisoffen (!) zu diskutieren.
Über 18.000!
Dein Artikel, liebe Sarah, hat endlich einmal die Dinge gut verständlich und nachvollziehbar formuliert. Auch wenn ich nichts mit PEGIDA am Hut habe, geht mir der Presse- und Medienmist langsam ebenfalls auf die, um mal im Bild zu bleiben, Hutschnur. Die Medienleute scheinen den Unterschied, zwischen PEGIDA und ihrem dumpfen Reflexjournalismus, nicht zu verstehen und wundern sich darüber, warum ihnen, den immer Guten, die Liebe entzogen wird. Das wird Folgen haben. Nun ist auch noch ‚Lügenpresse‘ zum Unwort des Jahres gekürt worden, da werden sich die Pressejungs und -mädels wohl erst einmal wieder gut fühlen. Hoffentlich wachen die trotzdem bald auf. Gefährlich, wenn das so weitergeht, auf dümmlichste Weise der rechten Seite immer wieder in die Hände gespielt wird..
Und für die Statistiker unter uns: Gestern waren bereits 25.000 in Dresden unterwegs.