Hungersnöte, Flüchtlingstragödien, Terroranschläge. Überschwemmungen, Orkane und multiresistente Keime. Schier endlos erscheint der Katalog der Hiobsbotschaften. Holzschnittartig die Argumentation um Ursache und Wirkung: Überbevölkerung, Ressourcenverschwendung, Massentierhaltung, unzureichend regulierte Banken nebst Kapitalismus-Illusion von der Selbstregulierung der Märkte haben Mutter Erde an den Rand des Abgrunds geführt. Da stehen wir nun, im Vorhof zur Hölle. Die letzte Gelbbauchunke erstickt an ihrer eigenen Galle und wir fragen uns: Wie konnte das passieren?
Eine, die sich mit Drohkulissen auskennt, ist Karen Duve, 53, gelernte Steuerinspektorin ohne Abschluss, Taxifahrerin, Aushilfs-Jobberin und seit 1996 Schriftstellerin. Jüngst zog sie mit ihrer Buchveröffentlichung „Anständig essen“ gegen industrielle Massentierhaltung ins Feld. Gegen Fleisch an sich und jene Unbelehrbaren, die immer noch Tiere essen. Nun hat sie sich auf einen neuen Kreuzzug begeben.
Die aktuelle Kampfschrift „Warum die Sache schiefgeht“ erscheint pünktlich zum Weihnachtsgeschäft und stellt sich gleich mehreren Fragen: Warum Weltuntergang, wer ist daran schuld und warum gerade jetzt? Weil Weihnachten vor der Tür steht? Nicht doch, das Übel beginnt weitaus früher.
Bereits „mit dem Übergang von den sammelnden und jagenden Horden in die Agrargesellschaft wurde der Weg der Gier und Entfremdung eingeschlagen.“ Deswegen sei die Entwicklung der Zivilisation keinesfalls eine „Erfolgsstory“, sondern eine Geschichte über Härte, Macht-und Geldgier. Warum? Wird nicht beantwortet. Was bewirkten Sesshaftwerdung und Besitzstandsbildung? Kein Kommentar. Wie kam es, dass der Steinzeitmensch auf dem Höhepunkt seiner Entwicklung vor etwa 35.000 Jahren ein Gehirnvolumen von 1.600 cm3 hatte, während unser modernes Oberstübchen nur noch 80% umfasst? Und wieso haben wir es trotzdem auf den Mond geschafft? Dass Vegetarierin Duve das neolithische Dilemma nicht diskutiert, liegt wohl daran, dass die Abschaffung der fleischlastigen Steinzeitkost nicht ihr Thema ist. Deswegen wird grimmig das nächste Feindbild ins Visier genommen.
„Karriere macht man nicht deshalb, weil man intelligenter, kompetenter oder sozialer ist, sondern weil man gemeiner, gieriger, aggressiver und schamloser ist.“ Ausschlaggebend für die Auswahl von Bewerbern seien Eigenschaften wie Einsatzwille („bis zur Selbstaufgabe“), Risikobereitschaft, unerschütterliches Selbstvertrauen und Durchsetzungsvermögen. Allesamt Eigenschaften, die auch für eine Verbrecherlaufbahn herhalten würden, urteilt Duve, obgleich sie von unternehmerischem Denken und Handeln so viel Ahnung hat wie ein Klempner vom Haareschneiden. Egal. Hauptsache alles und jeder lässt sich über einen Kamm scheren.
Unternehmen, vom Familienbetrieb bis zum DAX-Konzern, bevölkern ihre Führungsebenen, vom Teamleiter bis zum Vorstand, mit sozialem Aussatz. Anders gesagt: Jeder, der auch nur eine einzige Stufe der Karriereleiter erklommen hat, darf sich angesprochen fühlen. Gehört zu Duves Achse des Bösen. Im Zentrum derselben, wie kann es anders sein: Der Mann an sich. Und selbstredend: „Frauen sind die besseren Menschen“, das müsse endlich mal gesagt werden.
Männliche Risikobereitschaft hätte schließlich dazu geführt, dass Katastrophen wie das Challenger-Unglück, die Reaktor-Unfälle in Tschernobyl und Fukushima, die Terroranschläge vom 11. September nicht verhindert werden konnten. Weiterhin orakelt die Expertin für Teilchenbeschleunigung, dass uns demnächst das CERN um die Ohren fliegen könnte und spätestens jetzt drängt sich der Verdacht auf, sie habe am Plot der Katastrophen-Schnulze „Helden – Wenn dein Land dicht braucht“ mitgeschrieben.
Was unsere Welt demnach nicht braucht, sind Männer. Weil Männer ein Wirtschaftssystem erschaffen haben, dass „von seiner Führungselite verlangt, dieses über alle menschlichen Bindungen zu stellen.“ Und das hat Folgen. Denn „wer am Familienleben nur noch als Zaungast teilnimmt und da draußen keine Freunde mehr hat, die einen daran erinnern, was für eine Pfeife man eigentlich ist, verliert schnell die Bodenhaftung.“ Deswegen würde man sozial intakte Menschen in den Führungsetagen nicht so oft finden. Mehr noch: „Hoch bezahlte Jobs und die Aussicht, sich auf kaum regulierten Märkten austoben zu können, ziehen auch schwer gestörte Menschen an.“ Demnach würden sich Psychopathen überproportional häufig in Chefetagen und allerhöchsten Ämtern tummeln. Da ist sich auch der Tübinger Neurobiologe Niels Birbaumer „ganz sicher“. Leider könne er es nicht beweisen, weil dafür alle in einen Kernspintomografen kriechen müssten. Laut Duve vor allem Ärzte, insbesondere Chirurgen, Landwirte, Wissenschaftler, Banker natürlich, Börsenhändler, Politiker, Vorstände, Geschäftsführer und sonstige Führungskräfte. Hauptsache männlich. Im Zweifel auch einige Frauen, sofern sie männlich denken. Allerdings würde man „emotionale Minderbemitteltheit, ethische Leichtfertigkeit, Geldgier und Machtversessenheit bei Männern viel leichter finden.“ Kein Wunder, so Duve: „Männlichkeit ist eine minderschwere Form von Autismus“.
Man stelle sich vor, derartige Diagnose wäre für Sinti und Roma, Farbige oder gar Juden verfasst worden. Ein Aufschrei würde durch die Gesellschaft gellen. Männer-Bashing hingegen ist in. Ebenso gefällt sich Frau neuerdings in der Rolle der verbalen Heckenschützin. Aber warum nur? Quid pro quo? Ein sich Erheben über den männlichen „Unterdrücker“? Selbst George W. Bush, der Erfinder der Achse des Bösen, hat seine Feinde nicht anhand von Krankheitsbildern verhöhnt, zumindest nicht öffentlich. Dennoch brachte er Bodentruppen in Stellung. Will Duve das auch? Operation Enduring Hate nebst matriarchalischem Nation Building? Und wen sollte Neurobiologe Niels Birbaumer tatsächlich in die Röhre schieben? Männer in Führungspositionen oder Chauvinistin Duve?
Die wiederum verkündet gen Mitte ihres Werkes eine Art Waffenruhe: „Natürlich muss nicht jeder, der sich auf eine Trainee-Stelle bewirbt, ein emotionaler Low-Performer sein. Manche denken vielleicht, dass so ein Job eine Möglichkeit ist, ihre Männlichkeit zu beweisen.“ Ansonsten funktioniere die Mehrheit der Männer sozial und moralisch ganz passabel und neige im Mittelwert eher zu Ringkampf, Risiko und Uneinsichtigkeit. Wie süß. Männer im Spannungsfeld zwischen Soziopathen- und Knuddelbärimage. Welchen Schrott dreistes Weibsvolk in einer vermeintlichen Männerwelt veröffentlichen darf, ist immer wieder erstaunlich.
Zurück zur Waffenruhe. Die allerdings ist wie so oft taktischer Art, denn hinter der Front wird bereits nachgeladen: Die Erfindungen, Kulturleistungen und Kunstwerke, die wir den dominanten Alpha-Männern verdanken, seien bestenfalls beeindruckend im Vergleich zur Schimpansenkultur. Doch wieviel mehr wäre erschaffen worden, wenn die Mächtigen nicht immer wieder vernichtet hätten, was „intelligentere oder sozialere Artgenossen (also Frauen) uns hätten bieten können.“ Was allerdings, wenn sich die Frauenquote schon in der Steinzeit durchgesetzt hätte? Und alles viel schlimmer gekommen wäre?
Um den Karren aus dem Dreck zu ziehen, schlägt Duve vor: „Die Sanften, Sozialen und Friedlichen müssten ihr Harmoniebedürfnis und ihr Verständnis für andere überwinden, auf den Tisch hauen, sich auf die einflussreichen Posten stürzen und die dominanten Chefs davon vertreiben.“ Dass die Kuschelkätzchen damit automatisch zum Tiger mutieren, unterschlägt die Autorin und schwadroniert unreflektiert weiter: Sämtliche Regierungen der Welt sollten gestürzt werden. Die Idee vom ständig steigenden Wirtschaftswachstum müsse aufgegeben, Unternehmen sollten daran gehindert werden, dass sie „ungestört Gewinne einfahren dürfen“. Kurze betriebswirtschaftliche Einlassung zum Störfall: Kein Gewinn bedeutet keine Steuern, keine Rücklagen. Kein Wachstum bedeutet, keine Kredite, keine Investitionen. Und was passiert, wenn Facebook-Aktivisten oder amerikanische Demokratie-Exporteure Regierungen stürzen, sehen wir gerade im Nahen Osten, in Nordafrika und der Ukraine.
Papier ist geduldig. Gott sei Dank schreiben Frauen wie Duve nur Bücher und bewerben sich nicht auf Führungspositionen. Gott sei Dank gibt es Ausreden wie fehlende Kinderbetreuung und unzumutbare Arbeitszeiten. Auch dies übrigens ein Irrtum. Denn im Experiment DDR war die weibliche Erwerbsquote zwar hoch, der Anteil weiblicher Führungskräfte eher bescheiden – trotz Kinderbetreuung und Work-Life-Balance. Warum also Männerdominanz? Duve propagiert sie als Umkehrung des Sündenfalls. Ob jedoch Eva selbst das Paradies vermasselt haben könnte, wird wie so vieles nicht diskutiert.
„Warum die Sache schiefgeht“ ist dummes Gezeter – einfältig, naiv, hysterisch, sexistisch, diskriminierend. Auf breiter Front schief gegangen und ganz bestimmt kein Sachbuch. Eines jedoch hat es für sich. Man weiß wieder, wo man hingehört. Lieber allein unter Männern als mit Frauen wie Duve in einer schönen neuen Welt.
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Text: Sarah Paulus (www.sarahpaulus.de)
Header-Grafik: Rolf G. Wackenberg (www.wackenberg.com)