Deutschland: Artmanns Urban Art Clash

„Wie es angefangen hat, so wird es enden. Ich komme nicht davon los“, sagt der Mann mit dem Vollbart, der seine Augen unter dem Schatten einer Schirmmütze verbirgt. Darüber stülpt die Kapuze eines Parkers. Sicher ist sicher. In den kalten unterirdischen Gemäuern des St. Georg im Aqua-Butzke Bau in Berlin-Kreuzberg, wo früher alles Mögliche produziert wurde. Armaturen, Metallwaren, Lampen. Heute geht es vor allem um Kunst. Deswegen streift der Mann mit der Kapuze durch die Räume. Rückt, räumt, telefoniert. Es ist Karfreitag. Anderswo sitzen Familien bei Kaffee und Kuchen zusammen. Die Familie des Künstlers Alesh One ist seine Malerei und die wiederum führte ihn in die PLATOON Kunsthalle.

Platoon ist ein militärischer Begriff und definiert die kleinste selbstständig operierende Einheit. Mobil und flexibel, gleichzeitig global ist auch die Welt von Tom Büschemann und Christoph Frank. Zwei Männer aus Detmold und Stuttgart, Werbekaufmann und Graphikdesigner, die ihr PLATOON im Jahr 2000 gründeten, heute ein Netzwerk von Künstlern und Kreativen mit mehr als 6.500 Mitgliedern aus über 50 Nationen. „Wir sind generell pazifistisch“, erklärt Frank. Den Begriff habe man gewählt, um das Anliegen zu unterstreichen. Räume für Kunst, die überall auf der Welt verfügbar gemacht werden können. Mobile Container, schmucklos, olivgrün. Irritation gehört zum Programm. „Unser militantes Erscheinungsbild wird durch die Offenheit der künstlerischen Projekte kontrastiert.“

Wie es dazu kommt, dass jemand ein PLATOON wird, ist nicht zuletzt eine Geschichte darüber, wie sich das Einzelne in etwas Gemeinsames und schließlich in das große Ganze fügt. Sie beginnt bei Artmann, der kleinsten selbständig operierenden künstlerischen Einheit. Dem Menschen und Künstler Alesh One.

Dass Malerei sein Dasein bestimmen würde, wusste er seit dem sechsten Lebensjahr. Mit elf sah er Fotos von bemalten New Yorker Zügen und ging hinaus in die Nacht. Verließ sein Kinderzimmer und später das Zuhause. „Ich war 14. Es gab mega viel Stress. Die Polizei kam. Meine Mutter konnte das nicht verstehen.“

„Als Jugendlicher machst du dir keine Gedanken, dass ein Auto jemandem gehört“, sagt Alesh. Mit 13 habe er einen Mercedes Benz vollgemalt, wurde erwischt und verstand, dass seine Aktion illegal war. „Interessiert hat mich das nicht. Der Drang rauszugehen und fremdes Eigentum zu bemalen, war stärker.“ Am liebsten Züge. „Das machst du nur für dich. Ein super privates Ding. Dann mit dem eigenen Zug durch die Stadt fahren. Keiner weiß es. Einfach endgeil.“ Im St. Georg hängt ein Schild, das Graffitis untersagt. Alesh lacht, er habe das nicht aufgehängt. Dann erklärt er seinen Anspruch auf freien Raum: „Wenn ich irgendwo zu Gast bin, male ich nicht die Wände voll.“ Ebenso wenig würde er ein anderes Bild übersprühen. Dass Berliner nach Prag kommen und die Karlsbrücke zubomben, habe er nie verstanden. „Ich suche mir Plätze, von denen ich denke, dass sie zu meiner Kunst passen. Natürlich gehören die auch jemandem“, räumt er ein.

Berufung? „Bei mir war es viel mehr“, erinnert sich der heute 41jährige gebürtige Prager, dessen Familie in die USA und nach Deutschland emigrierte. Alesh verschlug es zunächst ins Rhein-Main Gebiet, wo er sein Abitur auf einer Berufsfachschule für Gestaltung machte und all das lernte, was Maler, Lackierer und Raumausstatter können müssen. Später versuchte er sich in Kommunikationswissenschaften und brach das Studium nach zwei Semestern ab. Die reale Welt war interessanter. Frankreich, Spanien, Schweden, England, Berlin. Dazwischen immer wieder Prag. „Malen ist der beste Urlaub der Welt und Reisen das beste Studium“, reflektiert der Künstler seine Lehr- und Wanderjahre.

Doch wie lebt einer, dessen Berufung zur raison d’etre wird? „Ich wollte nicht nur meinen Namen überall hinschreiben, sondern auch davon leben.“ Backpieces auf Jacken und T-Shirt Siebdruck waren sein Einstieg in die kommerzielle Welt. Auftragsarbeiten für Messen, Shops, Firmen wie Adidas und Canon folgten. Nicht zuletzt Werbeagenturen, denen er als Freelancer seine Zeichnungen verkaufte. „Ich habe richtig Geld verdient.“ Aber das Agenturleben sei nichts für ihn gewesen. „Zuviel Ellenbogen, zu viel Competition.“ Er wollte frei sein, zurück auf die Straße.

1990 fand er in Berlin, was in Prag unerschwinglich war. Preiswerten Kunstraum. Räume und Gebäude, die von der damaligen Leerstandsinitiative für nur eine Mark warm vermittelt wurden. Er arbeitete in Weißensee, Prenzlauer Berg, im ersten Café Moskau. Später im Tacheles. „Den Schlüssel hab ich noch immer“, sagt Alesh, der seinem Credo treu geblieben ist. Leben nicht nur für sondern auch von der Kunst. Nach wie vor malt er per Auftrag. Comicartige Figuren und Schriften, phantastische Welten. Mit Sprühdose, Pinsel oder Rolle. Ein Crossover, wie die Stadt selbst. „Eine richtig dreckige Bitch.“ Prag sei zig Mal schöner und romantischer. Berlin hingegen etwas Besonderes. „Eine der hässlichsten Städte, die ich gesehen habe.“ Die zur Heimat wurde und ihn nicht loslässt, weil es so viel zu dokumentieren und zu verändern gibt.

Street Art, sagen die Leute. Ein blöder Begriff, findet Alesh und nennt es Urban Art. Ein Konzept, das Kunst als Gesamtheit sieht. Klassische Malerei versus Pieces und Bombings. Collagen, Skulpturen, nicht zuletzt Musik. Ein Clash von Stilen, Farben und Formen. Ein Projekt aus vielen sehr unterschiedlichen Künstlern, mit denen er seit sechs Jahren Locations in Prag und Berlin bespielt. Das St. Georg beispielsweise oder das Kleine Kunsthaus am Halleschen Tor, eine zur Galerie umgebaute ehemalige Toilette. „Urban Art Clash“, der Name wurde Programm und Alesh zum Ausstellungsmacher und Kurator.

Inmitten der Metamorphose kam PLATOON aus der Deckung. Die Kunstraum Schaffenden mit ARTverwandtem Sinn für Kontraste und Irritierendes bieten nicht nur eine virtuelle Plattform, über die sich Kreative finden und ihre Projekte verwirklichen können sondern auch reale Flächen. Ihre Container stehen seit 2009 bzw. 2012 in Seoul und Berlin, wo „Urban Art Clash“ vom 20. April bis 26. Mai gastiert. Anschließend reist die Ausstellung durch Europa.

Mit dabei sind Künstler wie Sabatino Cersosimo, L.E.T., Michal Mráz, Czarnobyl und die Sängerin Celina Bostic. Cersosimo, ein in Turin geborener Maler lässt in seinen Werken Körper und Gesichter sprechen. L.E.T. (Les Entfants Terribles) kommt aus der Graffiti-Szene, orientierte sich an linkspolitischen Stencils, der Schablonenmalerei der kubanischen Revolution, und experimentiert heute mit allerlei Gesprühtem auf Postern oder Wänden. Die Werke des slowakischen Künstlers Mráz und die Stencil-Sprays des Polen Czarnobyl sind ebenfalls Symbiosen. Letztere zeigen Abbilder von Menschen, Waffen und Maschinen. Präzise, düster, beängstigend.

Und Alesh? Immer noch glücklich mit der Liebe deines Lebens? „Mega, sage ich immer, wenn meine Mutter anruft. So lange ich gesund bin, ist alles cool“, so der Maler, Illustrator und Kurator, manchmal auch Kameramann und Regisseur. Der gern mehrere Leben hätte, weil es noch so viel zu tun gibt. Durch die Welt reisen, mit anderen Leuten arbeiten, lernen, sich ausprobieren. „Du kannst mich mit einer Sprühdose oder einem Stück Kreide in der Pampa aussetzen. Irgendwann komme ich zurück und hab was Neues gemacht.“ Auch in der Nacht? „Ich wäre dumm, wenn ich’s zugeben würde. Hab mein Leben schon zweimal gelebt.“ Vielleicht gibt es ein drittes. In Granada, Brasilien, wo immer, sollte ihn diese Stadt jemals loslassen. Wenn nicht, dann im Tacheles. „Dit wäre schön“, beendet der Berliner aus Prag seinen letzten Satz.

Über Sarah Paulus

Ich bin freie Autorin mit Fokus auf Reportagen und aktuelle Themen rund um Reise, Politik, Menschen und Kultur. Meine Artikel und Reportagen wurden u.a. in der FAZ, der Süddeutschen Zeitung, der Morgenpost, dem Tagesspiegel, der Welt/Welt am Sonntag, bei Spiegel Online sowie in diversen Magazinen veröffentlicht. Sarah Paulus
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