Letztes Jahr saßen wir in einem Taxi auf der Fahrt vom Assad-Staudamm nach Aleppo. Mit uns ein französisches Ehepaar. Während er vorn auf dem Beifahrersitz schnarchte und Rolf sich der Konversation entzog, ertrug ich die liebevolle Präsentation der Ehefrau. 800 Fotos auf dem Display ihrer Kleinbildkamera rund um das Weltkulturerbe Petra. Rollo feixte heimlich hinter meinem Rücken, auch der Pixelshow nebst umfangreicher Erläuterung konnte er sich entziehen. Was ihn jedoch nicht davon abhielt, mich immer wieder in die Seite zu knuffen: „Du musst jetzt mal was dazu sagen.“ Also kommentierte ich artig: „Très belle! Les fleurs, c’est joli.“ Ob sie auch Amman besucht hätten? „Pas vraiment. Il n’y a rien a voir.“
Ein Jahr später sind wir in Amman. Trotz frankophoner Vorwarnung haben wir beschlossen, zwei Tage und Nächte in der Hauptstadt zu verbringen. Amman soll auf sieben Hügeln errichtet worden sein, dieser Tage verteilt die Stadt ihr Antlitz auf 19 „Jebels“. Das hat Vor- und Nachteile. Zum einen ermöglicht die Höhenlage von 750-1.000m ein überraschend luftiges Erlebnis, andererseits können hier Spaziergänge über scheinbar kurze Entfernungen zu einer schweißtreibenden Angelegenheit werden. Auch wenn man sich am Ende des Tages wie nach einem Marathonlauf fühlt, lohnenswert ist die Erkundung zu Fuß allemal. Eine fremde Stadt zu erlaufen bedeutet Eroberung von Nähe, Vertrautheit und Intimität. Wie bei jeder neuen Beziehung.
Zur Einstimmung erklimmt man am besten den Jebel Amman und genießt im gediegenen Ambiente der Rainbow Street nicht nur Kaffee und Tee in einer der schicken Gastronomien, sondern auch eine fulminante Aussicht über die unzählige, winzig kleine Bauklotzhäuser. Direkt gegenüber fällt ein gewaltiger Kuppelbau ins Auge: Die King Abdullah Moschee, das weiß-blaue Heiligtum auf dem Jebel Weibdeh. Sie gilt als die größte und schönste der arabischen Moderne. Mit einem Dinar Eintritt und einer schwarzen Kutte für die Dame ist man dabei. Auf dem Boden der riesigen Gebetshalle liegen farbenfrohe Teppiche. Angenehm weich ist das bunte Gewebe. Geplagte Füße genießen die flauschige Oase. So mancher Gläubige verweilt hier nicht nur zum Beten, sondern auch zum Ruhen, Dösen oder Träumen.
Weiter entlang der Salah al-Deen Street Richtung Zitadelle. Winzige Läden mit reichlich spirituellem Angebot reihen sich aneinander, so als solle der Reisenden in Versuchung geführt werden. Dieser widersteht jedoch eisern, sein Ziel klar vor Augen: Nicht das eiskalte Bier, sondern den 850m hohen Jebel Qala. Nach 30 Minuten gemütlichem Fußmarsch ist er erreicht, der Burgberg, und mit ihm die Überreste einer einstigen Zitadelle. Hier ist alles auf Tourismus ausgerichtet. Die Wege gehegt, die historischen Relikte gepflegt. Dank US AID, der United States Agency for International Devolopment. Der Blick über die Stadt ist faszinierend: Die Gen Abu-Darwish-Moschee auf dem gegenüberliegenden Jebel Ashrafiyeh mit dem Römischen Theater zu seinen Füßen.
Vom Berg zurück ins Tal, im Umkreis der Al Malek Feisal Street pulsiert Downtown Amman. Hier finden sich Märkte, Shops, preiswerte Hotels, Teestuben, Restaurants und die Hussein-Moschee, die 1924 auf dem Fundament einer Moschee aus der frühen Historie des Islam errichtet wurde.
Unweit davon steht Ibrahim mitten auf der Straße und hält Hof: „Welcome. Where are you from?“ Die klassische Form des jordanischen Smalltalks. Die Reisenden verweilen gelassen auf ein Wort oder zwei. Gegenüber einem britischen Pärchen lobt er: „The Queen is good. David Beckham is good.“ Bei Deutschen sind es Bayern München und Mercedes. Ibrahim kennt sich aus und erzählt, dass er 26 Mal in Deutschland war, dass er eine deutsche Freundin hatte, die in Jerusalem Elektroingenieurin studierte. Ganz nebenbei erwähnt er sein Lokal am Ende der Straße. Und potz Blitz, am Abend findet man sich im Hashem Restaurant wieder. Der Laden ist gut besucht. So einfach werden Kunden akquiriert.
Ein süßer Nachtisch gefällig? Hier ein Geheimtipp: In der Al Hazzar Street, einer kleinen Querstraße zwischen Al Malek Feisal und Cinema al-Hussein Street hat die Bäckerei Habiba seit 1951 ihren Sitz. Dort wird frisches heißes arabisches Gebäck verkauft, eine Art süßer Käsekuchen. Es ist schmeckt himmlisch. Wir stehen mit einem riesigen Pulk Einheimischer in der Schlange und futtern anschließend mit ihnen um die Wette. Danach ein starker schwarzer Tee auf dem Balkon des Nasmet al Anbar Coffee Shops oder im Umsiat Amman und die Stadt fühlt sich gut an. Zeit zum Verschnaufen und für ein zweites Resumé:
Über Jahrhunderte war Jordanien nicht viel mehr als ein Transitland, das Karawanen horizontal oder vertikal durchquerten, Amman selbst im Vergleich zu anderen arabischen Städten über viele Jahre ein Flecken, der sich erst im 20./21. Jahrhundert zur Metropole mauserte, inklusive der Insignien moderner städtischer Bebauung. Eine Zauberin wie Marrakesch ist sie nicht. Kein Moloch wie Fez. Nicht so bezaubernd wie Aleppo. Auch mit Damaskus kann sie sich nicht messen, der Stadt mit dem Beinamen Djannat al-ard, Paradies auf Erden, einer charmanten Übertreibung.
Amman gibt sich bescheidener. Sie ist schlicht die Weiße, wie das überwiegend beige oder grauweiße Gestein der Außenfassaden in der Mittagssonne suggeriert. Weiße mit Schuss. Denn die Stadt ist jung, dynamisch, erblühend und dabei fröhlich pubertierend, ständig im Wandel, so als hätte sie etwas nachzuholen. Amman und seine Hügel sind ein Muss für Liebhaber der arabischen Welt und all jene, die sich mit den aktuellen Ereignissen der Region auseinander setzen wollen.