Jordanien (Teil 1): Sommerfrische

Sanft gleitet Austrian Airlines OS 274 über die syrische Wüste in Richtung Queen Alya International Airport südlich von Amman. Es ist Mai 2011 und der Flieger halb leer. Vor etwa einem Jahr landeten wir in Damaskus. Dort wird mittlerweile scharf geschossen, Journalisten haben Einreiseverbot, Touristen ängstigen sich zu Recht. Für diese Angst scheint es in Jordanien keinen Anlass zu geben. Trotzdem wollen offensichtlich nur wenige hierher reisen. Wir fragen wir uns, was uns erwartet. Arabischer Frühling oder jordanische Sommerfrische?

Der Reiseplan ist voll bepackt. Ans Tote Meer soll es gehen, nach Wadi Rum, Feynan und natürlich Petra. Nicht zuletzt steht uns der Sinn nach jordanischer Urbanität. Auf nach Madaba.

Die Kleinstadt zwischen Amman und Kerak begrüßt uns wider Erwarten recht touristisch. Das mag an der Flughafennähe liegen. Viele Reisende scheinen den Ort als ersten oder letzten Pit-stop zu nutzen. Aber auch aufgrund einer Reihe von Sehenswürdigkeiten. Madaba ist die Mosaikstadt schlechthin, was an verschiedenen christlichen Kirchen und archäologischen Ausgrabungsstätten zu bestaunen ist, darunter das bekannteste Mosaik, die Palestina-Landkarte, in der St. Georgskirche. Im Anschluss werden Touristen mit einer Fußgängerzone beglückt, in der sie allerlei Schnickschnack erwerben, verweilen und ein Bierchen schlürfen können. Die Luft ist angenehm temperiert, denn Madaba liegt mehrere hundert Meter über dem Meeresspiegel.

Ein paar Straßen weiter, dort wo das arabische Leben stattfindet, werden Waren nur noch für einen Bruchteil des Touristenlevels angeboten. Hier befindet sich auch die große Moschee des Ortes. Der Muezzin hat gerade zum Gebet gerufen und die Gläubigen strömen herbei. Auch wir. Und während Rolf von Arabien sich sogleich mit der Menge assimiliert, halte ich mich abseits. Wo ist der Gebetsraum für Frauen? Ein Mann winkt freundlich. Ich darf den Männern folgen, ohne Kutte. Um niemanden zu stören, setze ich mich in eine Ecke am Rand und beobachte das Geschehen – in Erwartung der nun wohl folgenden muslimischen Agitation. Vor mir aufgereiht kräftige Männerrücken, die sich leise murmelnd verneigen, in die Knie gehen, sich verbeugen und wieder erheben.

Die Stimme des Imams ist leise, beruhigend, friedlich. Als ich die Moschee nach dem Ende des Gebets verlasse, eilt er herbei und reicht mir die Hand. „Shukran.“ Später dagegen, beim Besuch der christlichen St. Geogskirche, weist ein Kirchenangestellter streng darauf hin, dass die Beine beim Sitzen nicht übereinander geschlagen werden dürfen. Artig gehorche ich und fühle mich in diesem Gotteshaus fremd.

Abendessen im El Cardo gegenüber der archäologischen Ausgrabungsstätte. Wir sind die einzigen Gäste. Der Kellner ist hoch erfreut und schenkt uns eifrig seine ganze Aufmerksamkeit. Aus Ägypten komme er und lebe seit Jahren in Jordanien. Warum? Wegen des Geldes natürlich. In Jordanien verdiene er in einem Monat so viel wie in Ägypten nach fünf Monaten. Interessant, das BIP in Ägypten ist doch viel höher, und spachteln grübelnd Vorsuppe, etwas Mezze, Hühnchen mit Pommes und Dessert. Beim Verdauen ein Gedanke an morgen: Wohin soll es gehen?

„Kerak, Kerak, wir fahren nach Kerak“, singsangt Rolf neben mir. So soll es sein.

Die Stadt der Kreuzritterburg liegt etwa 60km südlich von Madaba. Aus unerfindlichen Gründen endet der Bus in einem studentischen Vorort. Was nun? Trampen? Auf den nächsten Bus warten? „Can I help you?“ Gada  spricht fließend Englisch, wir haben im Bus bereits einige Worte gewechselt. Sie ist mit ihrer Mutter unterwegs, um Verwandte Kerak zu besuchen. Hassan, ein Verwandter, steht nebst Taxi bereit, wir dürfen uns für einen Obulus von 3 Dinar anschließen. Gada berichtet vom jordanischen Leben, von Demokratie und Redefreiheit und von der Hoffnung, dass es in Jordanien keine Protestbewegungen geben möge. Zwischendurch versucht Hassan, Serviceleistungen zu verkaufen. Ein Pit-Stop bei der Familie zum Mittagessen oder die Weiterfahrt nach Petra. Auch die Mutter meldet sich zu Wort und will wissen, worüber wir reden. Gada muss in alle Richtungen übersetzen, nicht ohne Hassans Akquisitionsversuche zu kommentieren: „Be careful, he is a liar.“

Am Towers Hotel, unweit der Burg von Kerak, werden wir abgesetzt. Perfekt. Das Zimmer im Low Budget Hotel ist sofort in Besitz genommen. Über die Burg, besser, deren Überreste, weht ein kühles Lüftchen. Kein Wunder, befinden wir uns doch auf 950m Höhe. Sommerfrische auch hier. Kerak soll bereits im Alten Testament Erwähnung gefunden haben, wenngleich seine Gründung auf das 9. Jh. V.C. zurückgeht. Frühzeitig erkannte man die strategische Bedeutung des Ortes, den die Römer zur Bezirkshauptstadt und die Byzantiner zum Bischofssitz erhoben. Die heutigen Überreste der Burg, die Hauptattraktion des 35.000 Seelen Ortes, datieren aus der Zeit der Kreuzzüge im 12. Jahrhundert.

Beim Nachmittagscafé setzen sich zwei Männer zu uns. Einer der beiden fragt, ob uns die Reise gefällt. Wir kommen ins Gespräch. Er, der jüngere, sei der Neffe des älteren. Die Familie stamme aus Bosnien, wo der Onkel, der leider kein Englisch spricht, noch immer lebe. Er selbst, gebürtiger Neuseeländer lebe heute in Australien.

Und was treibt dieses Patchwork-Duo nach Jordanien? Die Schwester besuchen, die hier seit vielen Jahren mit ihrem amerikanischen Ehemann in Amman lebt. Beide sind Konvertiten und überzeugte Suffisten. Und als hätte sie von sich reden hören, gesellt sich eine schwarz verhüllte Frau hinzu, begrüßt uns freundlich und bestellt munter einen Kaffee. Das schwarze Schaf der Familie, wie sie sich selbst bezeichnet. Natürlich kreist das Gespräch nun vorrangig um Frauen und das aktuelle Tagesgeschehen.

„In Egypt, people disliked Mubarak. In Syria, people hate Bashar. In Eqypt, the army is recruited from the people, in Syria from a religious minority”, fasst sie die Unterschiede zusammen und schlürft nebenbei ihren Kaffee, was aussieht angesichts der Totalverschleierung ziemlich umständlich aussieht. Lediglich Augen und Hände dürfen sich zeigen. Und als hätte sie meine Gedanken gelesen, fragt sie lächelnd: „Do you realy think that women in the Arab world stand in front of the mirror every morning and think, oh my God, what a terrible world?“ Nein, das glauben wir ganz bestimmt nicht. Dennoch missioniert die selbstbewusste Suffisten eifrig über Respekt, Würde und Achtung in der Gesellschaft und zwischen Mann und Frau. Was sie sagt, klingt nicht unsinnig. Dennoch tut sich ein leiser Verdacht auf. Die Abtrünnigen sind immer die Überzeugtesten. Nichtraucher zum Beispiel.

Den Abend verbringen wir downtown unweit der Burg, am Straßenrand sitzend bei einer Dose alkoholfreiem Bier mit Apfelgeschmack! Das klingt abstrus, schmeckt aber ganz ordentlich. Einheimische wundern sich über die im Dreck sitzenden Fremden und bieten Sitzgelegenheiten in ihren kleinen Läden an. Wir aber wollen gucken.

Es ist Rush-Hour, Feierabendverkehr. Die Händler packen ein und fahren heim in die umliegenden Dörfer. Eine endlose Blechkarawane uralter Gefährte drängt sich unter lautem Gehupe durch die kleinen Straßen, nicht ohne die fremden Erdlinge freundlich aus den Fenstern zu grüßen: „Hello. Where are you from? Welcome.“ Artig winken wir zurück und nehmen uns Zeit für ein erstes Resumé:

Die Reise lässt sich gut an. Wir kommen leicht und sorglos voran. Land und Leute machen dieses Stück Erde liebenswert. Keine Spur von arabischem Frühling. Dennoch Schatten. Die Zahl der Touristen ist um 30-50% zurückgegangen. Eine Katastrophe für ein Land ohne Rohstoffe und signifikante Industrieproduktion.

Über Sarah Paulus

Ich bin freie Autorin mit Fokus auf Reportagen und aktuelle Themen rund um Reise, Politik, Menschen und Kultur. Meine Artikel und Reportagen wurden u.a. in der FAZ, der Süddeutschen Zeitung, der Morgenpost, dem Tagesspiegel, der Welt/Welt am Sonntag, bei Spiegel Online sowie in diversen Magazinen veröffentlicht. Sarah Paulus
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